Zuerst war ich unschlüssig, was ich von Dirndlgate halten soll. Klar hat Brüderle an der Bar mit Himmelreich die Grenze überschritten. Doch der Journalist und Mann, der ich bin, reagiert reflexartig: Sie hätte das nicht schreiben dürfen, sie hat gegen die ungeschriebenen Regeln des Hinterzimmers verstoßen.
Ein paar Tage später war mir klar: Sie hat es schreiben müssen.
Erst die Debatte nach dem Stern-Aufreger und #aufschrei hat die zahlreichen ungeschriebenen Regeln, nach denen es immer noch zu laufen hat, diese Demarkationslinien zwischen Oben und Unten (in jedem Sinn) noch einmal prägnant nachgezeichnet. Und wer dabei beobachtet, wer zur Verteidigung dieses Status Quo angetreten ist, weiß auch, wer die Regeln gemacht hat und wem sie nützen: Mehr oder weniger alten Männern mit mehr oder weniger Macht.
Und Wibke Bruhns.
Es ist schon lustig, dass ausgerechnet ein Tittenblatt wie der Stern es schafft, eine breite Debatte über den Sexismus in unserer Gesellschaft loszutreten. Aber der Versuch, die ganze Diskussion mit dem Verweis auf die vielen Brüste im und auf dem Heft zu diskreditieren, ist unredlich. Der Stern ist, was er ist, und ein Teil des Komplexes, über den wir gerade deshalb auch noch zu reden haben werden: Werbung und Medien.
Osterkorn ist hoch anzurechnen, dass er die Episode an der Hotelbar nicht aus dem Brüderle-Porträt herausgestrichen hat. Damit wäre der Vorwurf, gegen den heiligen Hotelbarschwur zwischen Presse und Politik verstoßen zu haben, ihm zu machen. Trotzdem hat er sich entschieden, dieses Beispiel für alltäglichen Sexismus im Porträt eines Politikers zu veröffentlichen, der offenbar einen einschlägigen Ruf hat.
Himmelreich hat vielleicht nicht gerade den elegantesten Einstieg in das Bargespräch mit Brüderle gewählt. Journalisten denken immer, sie müssten provokant sein, um die politische Phrasendreschmaschine aus dem Takt zu bringen und vielleicht noch ein verwertbares Zitat zu kriegen. Mich nerven diese patent-nassforschen Medienfuzzis und -fuzzinen auch. Als Rechtfertigung kann das aber nicht gelten.
Trotzdem ist das kein „Fall Brüderle“. Brüderle ist nur ein Platzhalter für die vielen Formen von Alltagssexismus, die jede Frau, die ich kenne, schon erlebt hat und immer noch erlebt: auf der Straße, im Job, unter Freunden. Gut, dass jetzt drüber geredet wird. Das ist zwar noch nicht alles konstruktiv, was einerseits an den vielen Männern liegt, die panisch versuchen, die Debatte umzubiegen. Und den ganzen Gendertröten, die ihre große Stunde gekommen sehen und schon fleißig bunte Kärtchen drucken.
Traurig ist, wie die Debatte in unserem sogenannten Qualitätsfernsehen geführt wird. Wie die Redaktionen von Jauch, Will und Konsorten an das Thema herangehen, zeugt von der dort herrschenden, fortgeschritten intellektuellen Deformation. Die drücken auch jedes Thema durch den Proporzfilter. Die Debatte wird so nur von den üblichen Partei-Apparatschiks besetzt.
Das längst komplett ausgehöhlte Ausgewogenheitsdogma der öffentlich-rechtlichen Talkshow-Castings führt dann zu so bizarren Auftritten wie dem von Bruhns und Dirndl-Experte Karasek bei Jauch. Dazu kam, dass Jauch selbst offensichtlich keine Lust auf die Debatte hatte und latent unter der Gürtellinie „moderierte“. Props für einen überraschend souveränen Auftritt an Koch-Mehrin.
Was bleibt: Die ehrliche Verblüffung in Schwarzers Gesicht bei ihren mehrfach fruchtlosen Versuchen, die zotelnden Jungs bei Jauch auf Diskursebene zu hieven. Vielleicht wäre sie bei Will besser aufgehoben gewesen, bei der war die Debatte zumindest ansatzweise konstruktiv (Überraschung des Abends: Geißler). Aber auch die Will-Redaktion hat sich ihre Trolle eingeladen.
Geht das eigentlich nicht mal ohne? Müssen wir bei einem Thema, bei dem Einigkeit darüber herrscht, wie wir unsere Frauen, Töchter, Freundinnen behandelt wissen wollen, uns wirklich anhören, was säftelnde alte Herren dazu zu sagen haben? Wäre es nicht besser, wenn die einfach mal die Klappe halten und zuhören?